Was sich Menschen alles antun – Heute: Quacksalberei mit MMS

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Eltern,

es ist bekannt, dass ich mich in meinen Artikeln gerne mal von der humorigen Seite den Themen nähere. Heute geht das nicht, denn das Thema ist zu ernst. Ernst vor allem für zahlreiche Kinder, die unnötig mit hoch giftigen Chemikalien drangsaliert werden, denn unser Thema heute ist MMS.

MMS soll angeblich gegen so ziemlich alle Krebsarten, AIDS, Hepatitis ABC, Herpes, Malaria, TBC helfen, aber auch gegen Schnupfen und Autismus. Man muss nur ein bisschen von der Lösung trinken und im Handumdrehen ist man geheilt. Verlockend nicht wahr? Warum ist dieses Wundermittel dann nicht frei verkäuflich? Warum behandeln Ärzte ihre Patienten nicht damit? Ganz einfach – sagen die Anhänger – die böse Pharmaindustrie unterdrückt das Mittel und die Ärzte stecken natürlich auch mit unter der Decke. Mal wieder. Wir wissen aber schon, dass solche Propaganda ebenso wenig ein „Qualitätsmerkmal“ ist wie das Versprechen, -zig Krankheiten mit einem einzigen Mittel erfolgreich behandeln zu können. Eher sind das Gründe für großes Misstrauen. Trotzdem ist so eine vorgeschobene Verschwörungstheorie -leider- natürlich eine sehr bequeme Sichtweise, die von ohnehin gegenüber Wissenschaft und Medizin skeptisch Eingestellten gern aufgenommen wird.

Fakt ist, dass das „Mittel“ höchst gesundheitsschädlich ist. Wie ich darauf komme? Schauen wir uns doch mal an, um was es sich bei MMS tatsächlich handelt, dann teilen Sie vielleicht auch meine Meinung, dass eine Verschwörung von „Big Pharma“ dagegen blanker Unsinn ist.

MMS kam zuerst unter dem Namen „Miracle Mineral Supplement“ auf dem Markt, ist aber auch als „Multieffect Mineral Solution“, „Maltesian Mineral Solution“ oder „Master Mineral Solution“ angeboten.

Der Inhalt ist aber immer derselbe – und ist höchst gefährlich. Es handelt sich nämlich um Natriumchlorit (nicht Natriumchlorid, also Kochsalz!) -NaClO2-, das in Wasser aufgelöst wurde, um eine 28%ige-Lösung zu erhalten. Allerdings ist bereits eine 25%ige-Lösung schwer gesundheitsschädlich beim Verschlucken.

Zusammen mit der Natriumchloritlösung wird dann noch eine verdünnte Säure als sogenannter „Aktivator“ mit verkauft. Mischt man die beiden Flüssigkeiten nun, werden giftige Gase freigesetzt, die die Atemorgane verätzen und durchaus zum Tode führen können. Aber es passiert noch etwas: Durch diese Ansäuerung entsteht Chlordioxid, landläufig unter dem Namen Chlorbleiche bekannt.

Wer erinnert sich noch, als vor ein paar Jahren dringend davor gewarnt wurde, Sanitärreiniger auf Chlorbasis zusammen mit säurehaltigen Reinigern oder auch nur Zitrone oder Essig zu verwenden? Weil dies lebensgefährlich sei und auch Menschen tatsächlich dadurch zu Schaden gekommen sind? Die Warnungen gibt es heute noch, z.B. hier (http://www.sueddeutsche.de/news/wirtschaft/immobilien-giftige-gasesaure-wc-reiniger-und-chlorreiniger-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160509-99-876355). Und jetzt kommts: Diese MMS-Geschichte, das ist genau das Gleiche! Im Ernst!

Diese Chlorbleiche soll nun laut den MMS-Vertreibern einsatzbereit für die medizinische Anwendung sein. Ja, Sie haben richtig gehört, man soll dieses Gebräu tatsächlich zur Behandlung von Menschen benutzen. Nur zur Erinnerung: Chlorbleiche ist hoch ätzend und wird beispielsweise zum Entfärben von Kleidern, zur Entfernung von Schimmel oder zum Bleichen von Jeans benutzt. Trinkt man nun eine Portion dieses Gebräus, kann es mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit zu Haut- oder Schleimhautverätzungen, starken Bauchschmerzen, Erbrechen oder Durchfall kommen. Auch sind Schädigungen an den roten Blutkörperchen oder Nierenversagen bekannt.

Die Vertreiber behaupten nun, dass das Mittel nur „bösartige“ Zellen angreift. Das ist natürlich Blödsinn. MMS ist es absolut egal, welche Zellen es verätzt. Es ist -auf gut Deutsch- ein zellzerstörendes Gift.

Jim Humble, der „Erfinder“ dieser Methode, behauptet, damit über 100.000 Patienten von der Malaria geheilt zu haben. Belegen kann er das freilich nicht. Auch ist Humble kein Arzt, sondern ein Ingenieur, der sein Arbeitsleben damit verbracht hat, Computerhandbücher oder Fachbücher über Bergbautechnik zu schreiben. Außerdem hat er an der Entwicklung eines Toröffnungssystems mitgearbeitet und hatte weitere Betätigungsfelder. Hier soll er sein „Wundermittel“ entdeckt haben: Wie es die Überlieferung will, entdeckte der Texaner Jim Humble im Regenwald von Guyana das magische MMS-Mittel. Nachdem er ein Vierteljahrhundert für Scientology hauptberuflich als Goldgräber in Südamerika tätig war, stieß er auf das neue Allheilmittel, mit dem er nach eigenen Angaben umgehend 4.000 Menschen von Malaria befreite. Fortan machte er sich auf, die frohe Kunde in die Welt zu tragen, und sie dabei auf formschönen Schaubildern idiotensicher zu erklären.(1)

Natürlich beschäftigten sich auch die Behörden bald mit diesem „Wundermittel“. Warnungen wurden von der Food and Drug Administration (USA), dem Bundesamt für Gesundheit und Swissmedic (Schweiz), dem Institut de veille sanitaire und der Agence francaise de sécurité sanitaire des produits de santé (Frankreich) und Health Canada (Kanada) ausgesprochen. Auch in Australien wurde dagegen vorgegangen.

Jim Humble ist übrigens auch Bischof. Ja, echt, Bischof einer von ihm selbst gegründeten Kirche. Dazu muss man aber den Hintergrund kennen: Er hat versucht, die Einnahme seines MMS-Giftes in den USA als „religiösen Ritus“ zu verkaufen, damit seine bedauernswerten Anhänger dort unbehelligt von den Behörden bleiben… Trotz alledem gibt es auch hier bei uns in Deutschland genug Leute, die Humble für so etwas wie einen Heiligen halten. Unvorstellbar eigentlich.

In Deutschland ist das Mittel nicht als Arzneimittel zugelassen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die Verbraucherzentrale warnen vor der Einnahme. Weiterhin gab das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit eine Warnung vor der Verwendung bei Tieren heraus. 2015 hat das BfArM zwei MMS-Produkte, die mit Heilungsversprechen warben, als zulassungspflichtige Arznei eingestuft; da diese Zulassung nicht vorliegt -und auch nicht erreicht werden kann- ist der Vertrieb dieser Mittel in Deutschland illegal. Leider gibt es für „Insider“ genug Bezugsquellen für dieses Zeug, ohne dass die Vertreiber sich die Blöße geben, das etwa als Arzneimittel auszuzeichnen oder Anwendungsempfehlungen zu geben.

Und so finden sich trotzdem im Internet zahlreiche Gruppen zusammen, die ungeachtet aller Warnungen „Behandlungen“ mit MMS durchführen und auch versuchen, andere davon zu überzeugen. Ich habe mir einige dieser Gruppen angeschaut und was mich besonders schockiert hat, sind die Bilder, die dort gepostet wurden.

Einige „Eltern“ -ich muss hier einfach Anführungszeichen benutzen- behandeln mit diesem höchst ätzenden Mittel auch ihre Kinder. Diese Menschen denken, dass Krankheiten durch sogenannte „Seilwürmer“ ausgelöst werden, die im Darm sitzen und wollen diese durch MMS-Einläufe abtöten. Besonders autistische Kinder werden mit dieser Prozedur traktiert. Gehen die Anhänger doch auch unsinnigerweise davon aus, dass diese nicht existierenden Parasiten Autismus auslösen.

Man muss sich das einmal vorstellen. Kinder, die sich nicht wehren können, bekommen hoch ätzende Einläufe und scheiden danach angeblich „Würmer“ aus. Es sind aber keine Parasiten, die da raus kommen, es ist die abgeätzte Darmschleimhaut der Kinder. Man kann sich nur vorstellen welche Schmerzen die Kinder hierbei erleiden müssen, wenn sich giftige Chlorbleiche durch ihre Schleimhäute frisst.

Und das perfideste ist, dass es keinerlei wissenschaftlichen Nachweis gibt, dass diese „Seilwürmer“ überhaupt existieren. Wenn, dann existieren sie nur in der Phantasie dieser verantwortungslosen Eltern.

Ja, ich habe dies sehr drastisch dargestellt, aber ich denke, dass das sein muss, um euch, liebe Leserinnen und Leser, vor Augen zu führen, was hinter diesem „Wundermittel“ steckt, zumal teilweise gezielt Eltern durch Werbung für diesen Wahnsinn angesprochen werden.

Deswegen meine große Bitte an Sie: Fallen Sie nicht darauf herein, verschonen Sie sich und Ihre Kinder von derartigen Experimenten. Bitte, wenn Sie oder Ihr Kind krank sind oder Sie glauben, dass eine Erkrankung vorliegt, gehen Sie zum Arzt und lassen Sie sich dort behandeln. Das dient Ihrem Wohl und dem Wohl Ihrer Kinder.

Es gibt zudem Leute, die die innere Anwendung von MMS nicht praktizieren, aber trotzdem auf dieses Zeug als Wundermittel schwören. Die stellen sich daraus Haarspülungen, Gesichtswässer und mehr her… Natürlich ist das nur ein gradueller Unterschied, ob man sich nun die Schleimhäute oder die Kopfhaut ruiniert, ist von untergeordneter Bedeutung. Auch diesen Anwendern, die sich oft als „kritisch“ vorkommen, sei ins Stammbuch geschrieben: MMS ist Pseudomedizin in kaum noch zu überbietender Qualität.

Seien Sie skeptisch, wenn Ihnen derartige Allheilmittel angeboten werden. Man erkennt ziemlich leicht derartige Quacksalbereien. In den Quellen finden Sie einen Link, der Ihnen hilft Pseudotherapien zu erkennen.

Selbstverständlich können Sie alle hier in diesem Artikel gemachten Aussagen durch die unten aufgeführten Quellen nachvollziehen. Lesen Sie selbst und handeln Sie verantwortungsbewusst!

Ihr

Onkel Michael

Quellen:
(1) http://www.bvl.bund.de/DE/05_Tierarzneimittel/05_Fachmeldungen/2014/2014_12_12_Fa_Miracle_Supplement.html (abgerufen am 25. August 2017)

Warnungen der Bundesbehörden:
www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-raet-von-der-einnahme-des-produkts-miracle-mineral-supplement-mms-ab.pdf

http://www.bvl.bund.de/DE/05_Tierarzneimittel/05_Fachmeldungen/2014/2014_12_12_Fa_Miracle_Supplement.html

http://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/mitteil2015/pm3-2015.html

http://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/mitteil2014/pm08-2014.html

Warnung der Verbraucherzentrale
https://www.verbraucherzentrale.de/miracle-mineral-supplement

Warnung von Swissmedic
https://www.swissmedic.ch/aktuell/00673/00688/01540/index.html?lang=de&print_style=yes

Spiegel-Artikel:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mms-bfarm-warnt-vor-anwendung-als-arzneimittel-a-972571.html

http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mms-quacksalber-werben-auf-kongress-in-hannover-a-967307.html

http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mms-wundermittel-trotz-risikowarnung-weiter-im-einsatz-a-977184.html

Allgemeine Informationen über Natriumchlorit
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Natriumchlorit&oldid=168526712

Indizien für Quacksalberei
http://gutepillen-schlechtepillen.de/indizien-fuer-quacksalberei/