Immer druff! oder: Darf der das? Dass der das darf…

Erinnern Sie sich eigentlich noch an den „XXL-Ostfriesen“? Den selbsternannten „Knochenbrecher“ Tamme Hanken? Gut, er war ja vor einiger Zeit (und ist es ja irgendwie immer noch) derart in den Medien präsent, dass man ihn nicht übersehen konnte. Allerdings muss ich Ihnen gestehen, dass ich nicht so ganz begeistert von Herrn Hanken war. Ja, natürlich, über Tote soll man nicht schlecht sprechen, aber trotzdem war Tamme Hanken Teil eines Problems und da er dermaßen bekannt war, soll er hier als Beispiel dienen.

Also, worum geht es? Tamme Hanken war, wie gesagt, ein ostfriesischer Knochenbrecher. Das waren in früherer Zeit Laienheiler, die sich auf orthopädische Probleme spezialisiert hatten. Da wurden fleißig Wirbel eingedrückt, Gelenke eingerenkt und ähnliche „Behandlungen“ vollzogen. Ausbildung hatten diese Menschen natürlich keine, dafür aber eine recht mystische „Begabung“, die meist innerhalb einer Familie vererbt wurde.

Und so war es auch bei Tamme Hanken, er erlernte dieses Handwerk bei seinem Großvater, von dem er auch ein sogenanntes „Nervenfühlen“ geerbt haben will. Eine medizinische Ausbildung hatte er in keinster Weise. Weder für Tiere noch für Menschen. Eine landwirtschaftliche Lehre hatte er abgeschlossen, als Betriebshelfer auf einem Bauernhof und als Helfer bei einem Hufschmied gearbeitet. Außerdem betrieb er noch eine Hühner- und eine Stutenmilchfarm. Erst als die Produktion von Stutenmilch sich nicht mehr lohnte, bot er seine Dienste als Knochenbrecher an. Irgendwann wurde das Fernsehen auf ihn aufmerksam und es kam, wie es kam. Tamme Hanken wurde zum Medienstar.

Merken Sie langsam, worauf ich hinaus will?

Ich selber werde ja bei derart medial hochgejubelten Wunderheilern immer skeptisch. Und wenn dann noch mystische Fähigkeiten à la „Nervenfühlen“ im Spiel sind, dann schrillen bei mir alle Alarmglocken. Derartiger Hokuspokus ersetzt keine fundierte medizinische Ausbildung. Tamme Hanken hatte ja bis zum Dezember 2010 an sogenannten „Kummertagen“ auch Menschen behandelt, bis er dies von einem Tag auf den anderen einstellte. Warum? Die Behörden sind eingeschritten und haben ihm dies untersagt. Die Behandlung von Tieren allerdings behielt er bei. Und da stoßen wir genau in den ersten Teil des Problems!

In Deutschland darf nämlich jeder, der gerade Lust hat, Tiere behandeln. Jeder, der mag, darf sich auch „Tierheilpraktiker“ nennen. Warum, fragen Sie? Tja, das liegt daran, dass dieser Begriff nicht rechtlich geschützt ist. Es gibt nur kleinere Einschränkungen. So dürfen Tierheilpraktiker keine Impfungen vornehmen und keine verschreibungspflichtigen Medikamente verordnen. Und da sie keine Narkosen verabreichen dürfen, sind auch chirurgische Eingriffe unter Betäubung tabu. Ohne Betäubung gibt es aber keine Einschränkungen. Kastrationen, Kupieren, Enthornungen, Aderlässe oder Wundnähte sind an der Tagesordnung. Alles das, was der Tierhalter selbst darf, darf auch der „Tierheilpraktiker“ – und eben auch umgekehrt. Nur macht der Halter praktisch nie das, was der „Praktiker“ sich so traut.

Jetzt schauen Sie doch nicht so, ich veräppel Sie nicht! Nein! Ehrenwort! Isso!

Gut, in einigen Bundesländern muss eine Praxiseröffnung wenigstens beim Veterinäramt angezeigt werden, damit eine Praxisbegehung stattfinden kann. Sauber gefegt, fließend Wasser und Heizung vorhanden? Alles gut. Was und wie was gemacht wird? Können und dürfen wir nicht kontrollieren…

Ja, und was passiert, wenn was passiert? Ja.. nix großartig. Ein Tierheilpraktiker ist wie jeder andere Mensch auch haftbar. Nicht mehr, nicht weniger. Lässt der Halter ihn machen, bedeutet das Einverständnis, und damit ist Ende mit haftbar. Regeln, gegen die er verstoßen könnte und nach denen er deshalb auch allgemein haftbar gemacht werden könnte, gibt es nicht. Deswegen sparen sich diese Menschen auch die teuren Haftpflichtversicherungen.

So. Jetzt schnaufen Sie erstmal durch, Sie sind ja ganz rot im Gesicht. Ja, ich rege mich darüber auch auf, aber lassen Sie uns weiter machen. Alles gut? Ok…

Kommen wir zurück zu Tamme Hanken. Haben Sie von dem mal eine Sendung gesehen? Wie er an den armen Viecherkens herumgerissen hat? Wie laut es geknackt hat bei seiner Behandlung? Wie schnell er mit seiner Behandlung durch war? Nein? Dann schauen Sie doch mal auf Youtube, da finden Sie noch genügend Filmchen. Jaja, schauen Sie nur, wir andere warten hier.

Dumdidumdidum…

So. Geschaut? Wunderbar… Schrecklich, nicht? Kein Wunder, dass die Fachwelt gegen dieses Treiben Sturm gelaufen ist. Das wurde von Tamme Hankens Fernsehsender natürlich nicht verbreitet. Wen scheren schon Experten heutzutage? Aber: Zu einer guten veterinärmedizinischen Behandlung gehört es, dass der Behandler auch im Nachgang für seine Patienten da ist. In zahlreichen Foren ist allerdings zu lesen, dass Kontaktaufnahmen, welcher Art auch immer, nie geglückt sind. Gingen seine Behandlungen nach hinten los, war es der örtliche Tierarzt, der einspringen musste.

Tamme Hanken bediente sich bei seinen Behandlungen einer eigenen Art der Chiropraktik, die er, wie bereits erzählt, von seinem Großvater gelernt haben will. Und die Chiropraktik ist auch so ein Ding für sich. Durch fünf verschiedene manuelle Techniken werden Knochen, Weichteile, Nerven oder Gelenke manipuliert, um Schmerzen im Knochenapparat zu beheben. Aber das reicht noch nicht, manche Chiropraktiker gehen davon aus, dass sie mit diesen Methoden auch ADHS, Migräne, Asthma, Tante Waltrauds Schlackerknie und Oppa Alfreds Steckschuss aus dem großen Krieg behandeln können. Bisschen weit aus dem Fenster gelehnt, oder? Ist natürlich auch Kokolores. Und auch keineswegs „dazugedichtet“ – die Behauptung, alles Mögliche per Chiropraktik heilen zu können, stammt von deren „Erfinder“, einem gewissen John Taylor Still, der als ersten Erfolg angab, einen seit Jahrzehnten Tauben geheilt zu haben… Also mal wieder eine „Heilslehre“, die es in verdünnter Form im Laufe der Zeit irgendwie in die Arztpraxen geschafft hat. Tamme Hanken allerdings flog selbst noch unter diesem Radar durch.

Eines ist die Chiropraktik aber: gefährlich! Ist der Behandler nicht sorgfältig in der Anamnese, kann es durchaus zu Schäden an Gelenken oder Wirbelsäule kommen. Sogar Todesfälle sind bereits bekannt. Besonders gemein ist, dass solche massiven Probleme auch noch eine Weile nach der Behandlung auftreten können. Man geht deshalb davon aus, dass es früher schon weitaus mehr Zwischenfälle gegeben hat, die nur niemand erkannt hatte. Was denn schon groß passieren kann? Nun, wenn der Behandler im Halsbereich arbeitet und zu schnell oder zu stark zu Gange ist, können Arterien einreißen oder sich Blutgerinnsel lösen.

Bei der chiropraktischen „Behandlung“ von Bandscheibenvorfällen kann es zu Nervenausfallsymptomen kommen. Und machen sich Chiropraktiker an Säuglingen und Kleinkindern zu schaffen, kann es durchaus zu Knochen- oder Wirbelbrüchen oder anderen schwerwiegenden Verletzungen kommen. Das Skelett von Kleinkindern und Säuglingen ist ja noch recht zerbrechlich.

Fängt ein Behandler dann auch noch an, von „Blockaden“ oder „energetischen Problemen“ zu erzählen, sollte man lieber schleunigst den Rückwärtsgang einlegen. Auch sollte man Wert darauf legen, dass der Behandler sich immer durch eine Röntgenaufnahme oder eine Computertomographie über den Zustand des Bewegungssystems beim Patienten rückversichert.

Und das ganze Programm hat nun Tamme Hanken als völliger Laie Pferden und Hunden angedeihen lassen. Da wurde gezogen, gezerrt und gehebelt. Ohne Röntgen, nur durch seine „Magic Fingers“ ertastete er die Probleme.

Aber nicht nur Knochenprobleme behandelte er. Einmal schaute Hanken einem Dackel ins Maul und diagnostizierte eine Herzerkrankung. Man möchte nicht wissen, was er am anderen Ende diagnostiziert hätte…

Ist es nicht traurig, dass ein Fernsehsender so etwas nicht hinterfragt, sondern auf sein Geschäftsmodell guckt und einfach so nach allem greift, was einen -möglichst lange laufenden- „Hype“ hervorbringen kann? „Bauernhofromantik“ auf Kosten von Tieren – nein danke!

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Beitragsbild: Von Mef.ellingen – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35007816

 

4 Gedanken zu “Immer druff! oder: Darf der das? Dass der das darf…

  1. Polemischer Artikel, leider.
    Schade, dass Sachlichkeit nicht möglich ist.

    1. Die Frage ist doch, warum man sich sachlich mit so einer Quaksalberbei auseinandersetzen sollte. Ich habe mich der Thematik genähert, wie sie es verdient hat.
      Hätte ich die ganze Quaksalberei auch nur halbwegs ernst genommen, wäre dies eine immense Aufwertung gewesen.

    2. Mit Verlaub, aber wenn die Rede auf diesen „Knochenbrecher“ kommt, kriege ich einen dicken Hals. Ich weiß von zwei Fällen, wo er bei Pferden richtig was kaputt gemacht – und ich weiß vor allem, wie gute Osteopathen ein Pferd behandeln! Meiner war mal auf Eis in einer Kurve im Galopp hingeknallt, hatte üble Prellungen und ging nach sechs wochen … nein, nicht lahm, aber eben nicht mit dem Gummi, das ich von ihm gewohnt war. Der Osteopath, der ihn behandelt hat, war übrigens einer, der 20 Jahre Erfahrung als Physiotherapeut bei Menschen gehabt hatte, bevor er – selbst langjähriger Reiter – auf Pferde umgestiegen war. Und er arbeitete eng mit einem Tierarzt zusammen.
      Da war absolut keine „Kraft“ im Spiel. Ganz im Gegenteil. Er hielt dem Pferd das Hüfchen – und das stützte sich ganz entspannt irgendwie auf das Bein, das der Osteopath hielt. Dabei knackte es ganz leise – und danach waren sein Schwung und seine Elastizität wieder da.
      Ich habe seitdem mit einigen Tierärzten geredet (ich bin Journalistin und auf Pferde spezialisiert, so schreibe ich seit 13 Jahren eine Tierarzt-Serie in einem großen Pferdemagazin) und ich hab‘ noch keinen getroffen, der bei dem „Knochenbrecher“ nicht geflucht hat. Der Mann war ein Scharlatan und ich hätte ihm nicht einmal einen kranken Goldhamster anfassen lassen!

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