Wilhelm Heinrich Schüßler – Der große Zauberer

Als Wilhelm Heinrich Schüßler seine „Abgekürzte Theorie“, die später als „Biochemie“ umfirmierte, vorstellte passierte zweierlei:
1. Die ernstzunehmende, also wissenschaftliche, Medizin ignorierte ihn und
2. Von Seiten der Homöopathie musste er herbe Kritik einstecken.

Auf diese Kritik reagierte Schüßler genauso cholerisch, wie ein handelsüblicher Fensterrenter auf einen Falschparker genau vor seiner Nase. Gerne bediente er sich dabei auch Spottgedichte, in denen er seine Kritiker durch den Kakao zieht. Hätte er mal sein dichterisches Talent lieber auf seine „Biochemie“ angewandt, denn hier gibt es zahlreiche Ungereimtheiten. (1)

Das wirkliche Problem hierbei ist aber nicht, dass es in seiner Theorie Löcher gibt, durch die man sämtliche Kuhherden des Oldenburger Landes treiben könnte, sondern dass er sich noch nicht einmal die Mühe macht, diese zu schließen. Nein, Schüßler zaubert einfach irgendwas aus der Luft und wenn es gar nicht anders geht, dann bemüht er einfach eine diffuse, mythische „feinstoffliche Energie“, die alles gut macht. Der altbewährte alternativedizinische Deus ex machina, wenn nichts anderes mehr geht, wird’s feinstofflich.

Aber fangen wir ganz am Anfang an. Bereits die Grundaussage Schüßlers passt nicht. Schüßler behauptet nämlich, dass alle Krankheiten durch einen Mineralstoffmangel in den Zellen hervorgerufen werden. Das ist natürlich Blödsinn. Zwar können Mineralstoffmängel durchaus gesundheitliche Probleme machen, besonders der Mangel an Magnesium oder Eisen hat unschöne Symptome, aber alle Krankheiten rufen sie nicht hervor. Viren, Bakterien oder Autoimmunerkrankungen werden in dieser Überlegung absolut nicht berücksichtigt. Gut, man kann nun ausführen, dass Schüßler noch nichts von Bakterien oder Viren wusste, dagegenhalten muss man, dass Bakterien schon seit Jahrhunderten bekannt sind und in den 1870er Jahren Robert Koch seine bakteriologischen Forschungen durchführte. Spätestens Schüßlers Nachfolger hätten hier die Unlogik erkennen müssen.

Weiterhin geht Schüßler davon aus, dass sich dieser Mineralstoffmangel auf genau und exakt 26 Moleküle beläuft. Nicht 25, nicht 27. EXAKT 26! Wo Schüßler diese Zahl her hat? Aus der Luft gezaubert. In seinen Schriften findet man keinerlei Hinweis auf einen Beleg für diese Behauptung. Und was passiert, wenn mehr als 26 Moleküle auf die Zelle zukommen? Haben die Zellen so kleine Türsteher, die dann sagen „Du kummst hier ned nei!“ Man weiß es nicht, Schüßler sagt nichts dazu. Ein schöner Trick des großen Zauberers.

Eine andere Frage ist, wie es überhaupt zu den Mineralstoffmängeln kommen soll. Anscheinend werden die Mineralien aus den Zellen rausgezaubert. Wie sollte es zu Mängeln kommen, wenn doch die Mineralien, Bestandteile unserer täglichen Nahrung sind? Schüßler sagt nichts dazu.

Und da kommen wir zu einen anderen interessanten Punkt, zu dem sich Schüßler ausschweigt. Wir nehmen die meisten Mineralstoffe, die Schüßler in seinen Salzen verwurstet (zur Verdünnung kommen wir noch) in tausendfach höherer Konzentration über unsere Nahrung zu uns, als sie in den Salzen vorkommen. Wieso nehmen die Zellen die fehlenden Mineralien nicht einfach hiervon? Wäre doch praktisch oder? Ich weiß es nicht. Schüßler sagt auch nichts dazu. Anzunehmen, Zellen könnten freiwillig lebenswichtige Substanzen verschmähen und durch „Zuruf“ dazu
gebracht werden, ihren selbstzerstörerischen Willen aufzugeben, ist genauso absurd wie anzunehmen, Zellen könnten auf „Zuruf“ dazu gebracht werden, lebenswichtige Substanzen aufzunehmen, die aber gar nicht vorhanden, weil zu stark verdünnt, sind. Denn die Schüßler-Salze werden zwar nicht homöopathisch potenziert, denn dieses Prinzip lehnte Schüßler ab, aber doch verdünnt. Und zwar so stark, dass keinerlei Wirkstoff mehr in der Verdünnung drin ist. Also wo sollen selbst diese 26 Moleküle herkommen? Schüßler schweigt.

Wir müssen uns das mal vorstellen. Schüßler kommt her, verdünnt seine Mineralstoffe im Verhältnis 1:1 000 000 (!) und will uns einreden, dass die Zellen sämtliche zigtausend real existierende Mineralstoffe, die wir mit der Nahrung aufnehmen verschmähen, bis eines dieser Globuli daher kommt. Von dem nehmen sie (was auch immer) gnädig an. Schüßler muss uns für ganz schön doof halten.

Bei der Frage, wie die (nicht vorhandenen) Mineralstoffe in die Zellen kommen zaubert Schüßler wieder. Er zaubert eine „feinstoffliche Energie“ aus der Luft, die die nicht vorhandenen Mineralstoffe in die Zellen zaubern. Diese „feinstoffliche Energie“ erläutert er nicht weiter. Nirgends. So ein großer Zauberer. Hätte J.R.R. Tolkien Schüßler gekannt, hätte er seinen Zauberer statt „Saruman“ wahrscheinlich „Schüßlerman“ oder so genannt.

Schüßler hat seine Theorie nie wissenschaftlich unterfüttert, war er doch zu sehr damit beschäftigt, seine Kritiker zu beschimpfen. Deswegen verwundert es auch nicht, dass sich die ernstzunehmende Wissenschaft nie damit auseinandergesetzt hat. Das ist übrigens bis zum heutigen Tag so geblieben. Prof. Dr. Edzard Ernst fasst die Studienlage zum Thema „Schüßler-Salze“ treffend zusammen: Bei meinen Recherchen fand ich keine einzige Studie zur Wirkung der Schüßler-Salze bei irgendeiner Erkrankung. Wie kann das sein? Sicher verdienen die Hersteller genug an diesen Mitteln, um wenigstens ein oder zwei Untersuchungen durchzuführen. Mir fallen zwei Erklärungen ein: Es wurden Studien gemacht, doch die Ergebnisse fielen so aus, dass die Hersteller sie schleunigst verschwinden ließen. Oder man steht auf dem Standpunkt ‚Wozu Geld investieren, wenn sich die Mittel bestens verkaufen?‘ Schüßler-Salze sind seit Jahren ein kommerzieller Renner – sie enthalten so gut wie nichts, kosten aber ordentlich. Manche meinen vielleicht, dieser Erfolg sei bereits eine Art Nachweis: Wenn nichts helfen würde, würden es die Leute nicht kaufen. Einer kritischen Analyse hält diese Logik jedoch nicht stand. Selbst wenn sich jemand nach der Einnahme von Schüßler-Salzen subjektiv besser fühlt, mag das an Placebo-Effekten liegen. Und natürlich kann man nie wissen, ob der Krankheitsverlauf ganz ohne Therapie nicht ebenso oder vielleicht sogar besser ausgefallen wäre. Fest steht nur Folgendes: Es gibt bis heute keinen Nachweis, dass Schüßler-Salze wirken. Persönlich würde ich mein Geld für etwas anderes ausgeben, nicht zuletzt, um meine ‚Nerven‘ zu schonen! (2)

 

(1) Ich entschuldige mich aufrichtig für den Kalauer!
(2) https://www.stern.de/gesundheit/ratgeber-alternativmedizin-schuessler-salze—teuer–aber-wertlos–3885802.html