Meine ganz persönliche Reichsbürgerqueen

Hier habe ich euch ja von meinem Dreigestirn der Verschwörungsidioten erzählt und den Reigen des Irrsinns mit der Chemtrailqueen (müsste es nicht eigentlich Schämtrail heißen, weil man sich schämen sollte, so einen Mist zu glauben? Man weiß es nicht) begonnen.

Aber diesmal möchte ich euch von meiner ganz persönlichen Reichsbürgerqueen erzählen. Ich muss ehrlich gestehen, dass es mich doch immer noch betroffen macht, wenn ich an … nennen wir sie Anna … denke. Denn sie war eine ganz normale junge Frau, die damals bei mir in der Bibliothek aufschlug. Sie hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt und um räumliche Entfernung zu schaffen, war sie in unser Provinzstädtchen gezogen.

Anna kam regelmäßig in unsere Bibliothek und auch sonst sah man sie öfters bei Veranstaltungen in der Stadt oder beim Einkaufen, bis sie plötzlich für mehrere Monate komplett von der Bildfläche verschwand. Als sie wieder auftauchte, war sie in die Fänge der Reichsbürger geraten. Am meisten fiel natürlich auf, dass sie ihre hüftlangen Haare bis auf wenige Millimeter abgeschnitten hatte. „Wegen der Chemtrails, damit sich die Chemikalien nicht in meinen Haaren festsetzen können“ antwortete sie auf meine entgeisterte Frage.

Aber die Chemtrails waren nicht ihr Hauptthema. Sie erzählte mir dann, dass sie jetzt Hartz IV bezieht und sich darüber informieren wollte, wobei sie in ein Internet-Forum geraten war. Dieses Forum wurde wohl von einem Reichsbürger betrieben, der sie natürlich schnell „aufgeklärt“ hatte. Und diese „Aufklärung“ wollte sie mir auch angedeihen lassen und ich musste mir den ganzen Schmarrn von vorne bis hinten anhören. Schnell merkte ich, dass argumentieren nichts brachte, die arme Frau steckte schon bis über beide Ohren in der Verschwörungswelt der BRD GmbH. Allerdings konnte sie mir auch nicht beantworten, ob wir Personalrabatt von der BRD GmbH bekommen, wenn wir schon einen Personalausweis haben. Irgendwo muss sich das doch rechnen…

Kurz darauf stellte sie sich unter Selbstverwaltung und tat dies auch der Welt kund, den Botschaftern aller vier Siegermächte, der Chinesen, Japanern und Kanadier, dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler (damals noch Schröder), dem Ministerpräsidenten, allen möglichen Innenministern, unserem Landrat, Bürgermeister, unserem Einwohnermeldeamt und ich glaube noch an Oma Krawuttke im dritten Stock. Dies verteilte sich auf mehrere Briefe, die immer wieder an denselben Rattenschwanz von Adressen verschickt wurde.

Man kann es nicht anders sagen, es waren Mahnmale des Irrsinns, die hier versandt wurden. Die junge Frau wurde immer verschrobener, ging teilweise nur noch nachts aus, schrieb wirre Briefe an alle möglichen Ämter und stieg immer tiefe in diesen Verschwörungssumpf ein. Sie kam zu mir und verlangte, dass ich ihr Unterlagen besorge wie das Besatzungsrecht, Bücher über die Kanzlerakte, Die Verfassungen der Weimarer Republik und des 71er Kaiserreichs. Irgendwann kam sie dann auf die Idee, dass die goldene Bulle die einzig wahre Verfassung Deutschlands sei, wollte nach Rom fahren und dort das Original. Mein Einwand, dass Abschriften in Darmstadt, Frankfurt oder Nürnberg liegen und es ja auch schicke Faksimiles gäbe, wischte sie bei Seite. Naja, nach Rom kam sie nie, jedenfalls soweit ich weiß.

Dieses Abtriften in eine Parallelwelt merkte man auch sonst sehr stark an ihr. Ungepflegt, man kann sagen verwahrlost, vernachlässigte sie sich selbst und ihre Wohnung. Aus einer normalen jungen Frau wurde innerhalb eines knappen Jahres die Katzenlady aus den Simpsons.

Anna zog dann weg. Sie hatte in einem Forum jemand kennengelernt, mit dem sie im sächsischen Hinterland einen Selbstversorgerhof betreiben wollte.

Ich bin heute noch sehr betroffen von dieser ganzen Geschichte. Wie ein normaler, gefestigter Mensch innerhalb kürzester Zeit in so eine Szene abrutschen kann und so sein ganzes Leben ruiniert. Wenn ich die gute wiedersehe, dann wahrscheinlich in einem Youtube-Video, beim Sturm auf den Reichstag oder wie sie den Sachbearbeiter einer Behörde geiselt.

Es ist zum kotzen, wie mit so einem totalen Schmarrn Leben kaputt gemacht werden.